Aufgrund des demografischen Wandels verschärft sich der Fachkräftemangel in Deutschland. Nach Auskunft der Bundesregierung betrug die Zahl offener Stellen im Jahr 2022 fast zwei Millionen. Die Bundesregierung hat daher eine Fachkräftestrategie beschlossen, die darauf abzielt, dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wesentlicher Bestandteil dieser Fachkräftestrategie ist eine Reform des Einwanderungsrechts.
Der Bundestag hat am 23. Juni 2023 einen Gesetzentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen. Dieser Gesetzesentwurf zielt darauf ab, ausländischen Fachkräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern und den Standort Deutschland für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten insgesamt attraktiver zu machen. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich am 7. Juli 2023 mit einer flankierenden Verordnung zum Gesetz auseinandersetzen und einige Neuregelungen werden voraussichtlich bereits ab November 2023 in Kraft treten.
Geplante Neuregelungen
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass es für die Fachkräfteeinwanderung zukünftig die folgenden drei Wege geben wird:
- Qualifikation: Ähnlich wie bislang soll der Zugang in den deutschen Arbeitsmarkt primär über einen in Deutschland anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss erfolgen. Neu ist, dass die Blaue Karte EU (EU Blue Card) zukünftig nicht mehr ausschließlich Hochschulabsolventen vorbehalten bleiben soll; IT-Spezialisten ohne Hochschulabschluss kann ebenfalls eine Blaue Karte EU erteilt werden. Darüber hinaus soll das für ihre Erteilung vorausgesetzte Mindestgehalt auf 50% (statt bislang 66,7%) der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung abgesenkt werden. Eine weitere wesentliche Neuerung soll darin bestehen, dass Inhaber eines anerkannten Abschlusses jede qualifizierte Beschäftigung ausüben dürfen und leichter den Arbeitgeber wechseln können.
- Berufserfahrung: Zukünftig soll Erwerbstätigen, die u.a. über eine in ihrem Heimatland anerkannte Berufsqualifikation mit einer mindestens zweijährigen Ausbildungsdauer verfügen, ebenfalls ein Aufenthalt zur Beschäftigungsausübung ermöglicht werden. Bislang müssen Fachkräfte ohne akademischen Abschluss ein langwieriges Anerkennungsverfahren durchlaufen, in welchem die Gleichwertigkeit ihrer Abschlüsse geprüft wird. Dies hat sich in der Praxis als sehr hinderlich erwiesen. Mit der Neuregelung soll Abhilfe geschaffen werden.
- Chancenkarte: Schließlich soll eine sogenannte Chancenkarte eingeführt werden. Diese soll es ausländischen Fachkräften ermöglichen, auch ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland einzureisen und bis zur Dauer von einem Jahr vor Ort nach einer Arbeit zu suchen. Während der Arbeitsplatzsuche soll es möglich sein, bis zu zwanzig Stunden in der Woche zu arbeiten oder ein Probearbeitsverhältnis von bis zu zwei Wochen einzugehen. Die Ausstellung einer Chancenkarte bestimmt sich nach einem Punktesystem mit den Kriterien Qualifikation, Sprachkenntnisse, Alter und Deutschlandbezug. Darüber hinaus soll es zwingend erforderlich sein, dass während des Aufenthalts der Lebensunterhalt gesichert ist.
Bewertung und Ausblick
Grundsätzlich sind die beabsichtigten Gesetzesänderungen begrüßenswert. Insbesondere die teilweise Abkehr von dem sehr formalistischen Anerkennungsverfahren dürfte den Zugang von ausländischen Fachkräften zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Hierdurch wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Unternehmen regelmäßig besser beurteilen können, ob sich eine ausländische Fachkraft nach ihrer Qualifikation und Berufserfahrung für eine Stelle eignet.
Leider sieht der Gesetzesentwurf keine weiteren Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Beschleunigung der Antragsverfahren vor. Die Dauer der Antragsverfahren und der Verwaltungsaufwand stellen ein wesentliches Hindernis für die Besetzung offener Stellen mit ausländischen Fachkräften dar. So sind verschiedene Behörden zu beteiligen und Antragsdokumente müssen auf dem Postweg versendet werden. Insofern wurde bislang leider eine Chance vertan, die Verfahrensabläufe durch eine stärkere Digitalisierung und Vereinfachung zu beschleunigen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber zukünftig hier noch nachbessern wird.