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Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens bei der Aktivierung einer Vorrats-SE? Der EuGH sagt „nein“!

Von Frank Lenzen
15 Juli 2024
  • Transaktionsbezogenes Arbeitsrecht
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In einer spannenden Entscheidung vom 16.05.2024 (Rechtssache C-706/22 – Konzernbetriebsrat) hatte es der EuGH mit der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE zu tun.

Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) ist eine längst etablierte Rechtsform in Deutschland. Neben den bekannten Blue Chips (z.B. Allianz SE) wird diese Rechtsform mehr und mehr im deutschen Mittelstand genutzt. Gründe hierfür sind neben der schon in der Rechtsform zum Ausdruck kommenden Internationalität auch die Möglichkeit vom deutschen dualistischen System (Vorstand und Aufsichtsrat) zur Etablierung einer monistischen Organisationsstruktur mit einem einheitlichen Leitungsapparat (Verwaltungsrat) und insbesondere die Chance zur flexiblen Gestaltung der Unternehmensmitbestimmung.

In vielen Fällen führt die Etablierung einer SE-Struktur dazu, die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsorgan einer SE zu vermeiden und den Zustand der Mitbestimmungsfreiheit langfristig einzufrieren bzw. zu zementieren. Dem eher linken politischen Spektrum war und ist dies ein Dorn im Auge. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampel-Regierung heißt es daher folgerichtig: „Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zu vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt).“ Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dem deutschen Gesetzgeber wegen des Vorrangs des EU-Rechts ohnehin weitgehend die Hände gebunden sind.

Der EuGH hat es nun mit seiner Entscheidung vom 16.05.2024 (Rechtssache C-706/22 – Konzernbetriebsrat) der Arbeitnehmerseite abermals schwerer gemacht, mitbestimmte Aufsichts- bzw. Verwaltungsratsstrukturen durchsetzen und damit die Zementierung einer mitbestimmungsfreien SE verhindern zu können. Er hat der vermeintlichen Pflicht zur Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens bei Gründung einer SE durch arbeitnehmerlose Gründungsgesellschaften eine Absage erteilt und damit die Etablierung mitbestimmungsfreier Strukturen erleichtert. Das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren betrifft die Ausgestaltung einer etwaigen Unternehmensmitbestimmung und die Einführung und Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des sogenannten SE-Betriebsrats.

Was ging der Entscheidung des EuGH voraus?

Im Jahr 2013 wurde eine arbeitnehmerlose Holding-SE nach britischem Recht gegründet und eingetragen. Hierfür wurde eine Vorrats-SE genutzt. Ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren war – im Einklang mit der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre – aufgrund der Arbeitnehmerlosigkeit der Vorrats-SE und ihrer Gesellschafter nicht durzuführen. Danach wurde diese SE dadurch aktiviert, dass sie Gesellschafterin operativer (deutscher)Tochtergesellschaften geworden ist. In der deutschen Tochtergesellschaft, die zuvor von einer GmbH in eine (mitbestimmungsfreie) KG umgewandelt worden war, wurden 816 Mitarbeitende beschäftigt, so dass der Schwellenwert für das Eingreifen des Drittelbeteiligungsgesetzes (mehr als 500 Mitarbeitende) überschritten war. Der Sitz der SE wurde dann später nach Deutschland verlegt.

Der Konzernbetriebsrat der KG wollte dieses Ergebnis nicht hinnehmen und vor dem ArbG Hamburg, die SE verpflichten, das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nachzuholen. Dies hätte nach Auffassung des Konzernbetriebsrats dann dazu geführt, dass zumindest die vormalige Drittelmitbestimmung der ursprünglichen deutschen GmbH eingefroren und damit auf der Ebene der SE einzuführen gewesen wäre. In erster und zweiter Instanz hatte der Konzernbetriebsrat mit dieser Argumentation keinen Erfolg. Das ArbG Hamburg wies den Antrag des Konzernbetriebsrats ab, ebenso wie in zweiter Instanz das LAG Hamburg. In der Revision gelangte das BAG (ABR 37/20) zu dem Ergebnis, dass das maßgebliche SE-Recht (§§ 4 ff. des SE-Beteiligungsgesetz, Art 12 SE-VO und Richtlinie 2001/86/EG) keine Nachholung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach Aktivierung einer SE vorsehe, die insoweit vorhandene gesetzliche Lücke aber ggf. durch eine analoge Anwendung der maßgeblichen Vorschriften zur Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens geschlossen werden könnte. Das BAG setzte daraufhin das Verfahren aus und legte diese Fragestellung (neben weiteren Vorlagefragen) dem EuGH zur Entscheidung vor.

Die Entscheidung des EuGH

Der Pflicht zur Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens erteilte der EuGH eine deutliche Absage. Das SE-Recht sehe die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nur bei der Gründung der SE und vor ihrer Eintragung vor. Ein Versehen des EU-Gesetzgebers wurde verneint. Vielmehr handele es sich insoweit um eine bewusste Entscheidung des EU-Gesetzgebers und der EuGH verwies insoweit auf die Entstehungsgeschichte der maßgeblichen Richtline zur Arbeitnehmerbeteiligung. Eine Ausnahme gestand der EuGH der Arbeitnehmerseite dann aber doch zu: Eine Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens könne in Missbrauchsfällen geboten sein. 

Was bedeutet diese Entscheidung in der Praxis?

Die Entscheidung eröffnet der Arbeitgeberseite weite Spielräume zur Mitbestimmungsvermeidung bei Nutzung einer Vorrats-SE. Die Entscheidung erteilt bislang der mehrheitlich vertretenen Auffassung, dass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nachzuholen sein, wenn die Vorrats-SE operativ tätig werde, wie gesagt, eine Absage.

Die Frage, wann die Nutzung einer Vorrats-SE einen Rechtsmissbrauch darstellen kann, wird jetzt eine noch größere Bedeutung bekommen. Hier gilt, dass die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nur im Ausnahmefall in Betracht kommt. Insoweit bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

Hierbei ist davon auszugehen, dass die Gründung einer SE vor Erreichen der Schwellenwerte des Drittelbeteiligungsgesetzes bzw. des Mitbestimmungsgesetzes regelmäßig keinen Rechtsmissbrauch darstellen wird. Entsprechendes gilt für den direkten oder indirekten Beteiligungserwerb durch die SE. In diesen Fällen liegt anerkanntermaßen auch keine strukturelle Änderung nach § 18 Abs. 3 SEBG vor, die zu einer Pflicht zur Neuverhandlung führen würde. Lediglich bei Verschmelzung einer mitbestimmten Gesellschaft auf die SE wird eine strukturelle Änderung und damit eine Neuverhandlungspflicht anzunehmen sein.

Soweit die Arbeitgeberseite in der hier aufgezeigten und vergleichbaren Konstellationen ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren freiwillig durchführt, kann sie zur Einführung einer Unternehmensmitbestimmung nicht gezwungen werden, denn im Rahmen der Auffanglösung bei unterbleibender Einigung kommt die Mitbestimmungsfreiheit der Vorrats-SE zum Tragen; möglich und sinnvoll mag der Abschluss einer solchen Vereinbarung im Hinblick auf die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des SE-Betriebsrats sein, der ja im Zuge der Gründung einer SE etabliert wird.

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SE-Recht, Unternehmensmitbestimmung
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