Skip to content

Präsentiert von

Dentons Logo

Arbeit. Recht. Blog

Der Blog der Arbeitsrechtsgruppe von Dentons in Deutschland

open menu close menu

Arbeit. Recht. Blog

  • Startseite
  • Unsere Kompetenz
  • Lunch & Learn

Nach dem EuGH führen Fehler bei der Massenentlassungsanzeige nicht zwingend zur Unwirksamkeit von Kündigungen

Von Minh Riemann
8 August 2023
  • Restrukturierung
Teilen auf Facebook Teilen auf Twitter Teilen via E-Mail Teilen auf LinkedIn

Führen Unternehmen Personalabbaumaßnahmen größeren Umfangs durch, so sind sie regelmäßig gehalten, vor Ausspruch der Kündigungen bei der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Unterbleibt die Massenentlassungsanzeige oder ist diese fehlerhaft, so führt dies (bislang) in der Regel zur Unwirksamkeit der Kündigungen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 13. Juli 2023 (Az. C-134/22) entschieden, dass die Pflicht des Arbeitgebers, der zuständigen Behörde im Rahmen des Massenentlassungsanzeigeverfahrens eine Abschrift des gleichzeitig an die Arbeitnehmervertretung gerichteten Konsultationsschreibens zuzuleiten, keine Schutzvorschrift zugunsten der Arbeitnehmer darstellt. Ein Verstoß gegen diese Zuleitungspflicht dürfte demzufolge zukünftig nicht zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen. Die Entscheidung des EuGH könnte eine Kehrtwende in der Rechtsprechung zu Massenentlassungsanzeigen einleiten – bislang hatte das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass Fehler im Massenentlassungsverfahren grundsätzlich die Unwirksamkeit der Kündigungen nach sich ziehen.

Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern in Massenentlassungsanzeigeverfahren

Gesetzlich geregelt ist das Massenentlassungsverfahren in §§ 17 ff. Kündigungsschutzgesetz (KSchG), der deutschen Umsetzung der europäischen Massenentlassungsrichtlinie (MERL – 98/59/EG). Hiernach ist eine Massenentlassungsanzeige erforderlich, sofern die Zahl der beabsichtigten Entlassungen die in § 17 Abs. 1 KSchG vorgesehenen Schwellenwerte überschreitet. Unternehmen werden nach den §§ 17 ff. KSchG weitreichende formale Pflichten auferlegt und Massenentlassungsanzeigen erfordern eine gründliche Vorbereitung. Besteht ein Betriebsrat, so ist der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 2 KSchG verpflichtet, diesen umfassend schriftlich über die geplanten Entlassungen zu unterrichten und der Agentur für Arbeit ist gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG gleichzeitig mit der Unterrichtung eine Abschrift der dem Betriebsrat mitgeteilten Informationen zuzuleiten.

Weder das nationale Recht noch die Massenentlassungsrichtlinie regeln, welche Rechtsfolgen ein Verfahrensfehler nach sich zieht. Das Bundesarbeitsgericht vertrat bislang die sehr strenge Auffassung, dass Verfahrensfehler im Rahmen der Massenentlassungsanzeige grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Einzelkündigungen nach § 134 BGB führen, da das Verfahren der §§ 17 ff. KSchG Individualschutz bezwecke.

Das Bundesarbeitsgericht hatte zuletzt indes selbst Zweifel, ob diese strenge Auslegung stets im Einklang mit der Massenentlassungsrichtlinie steht. Der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte zu entscheiden, ob die verspätete Zuleitung eines Betriebsratskonsultationsschreibens an die Agentur für Arbeit zur Unwirksamkeit der Kündigung eines klagenden Arbeitnehmers führte. Das Bundesarbeitsgericht leitete ein Vorabentscheidungsverfahren ein und legte dem EuGH die Frage vor, ob die Verpflichtung zur Zuleitung der Informationen an die Agentur für Arbeit gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG dem individuellen Schutz der Arbeitnehmer diene und demnach ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB bilde (BAG, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 6 AZR 155/21 (A)).

Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellte fest, dass die Pflicht zur vorherigen Zuleitung der Informationen nicht dazu diene, den von Massenentlassungen betroffenen Arbeitnehmern individuellen Schutz zu gewähren. Der Zweck der Zuleitungspflicht bestehe darin, der Behörde einen ersten Überblick über die Gründe und Folgen der Entlassungen zu verschaffen, damit diese sich auf die allgemein anstehende Situation vorbereiten könne. Zum Zeitpunkt der Zuleitung des Konsultationsschreibens seien die Entlassungen lediglich beabsichtigt und die Behörde solle sich allgemein mit der Massenentlassung befassen, nicht aber mit der individuellen Situation jedes einzelnen betroffenen Arbeitnehmers.

Der Generalanwalt beim EuGH hatte in seiner vorbereitenden Stellungnahme durchklingen lassen, dass nach seiner Auffassung das gesamte Massenentlassungsanzeigeverfahren nur kollektiven, nicht aber individuellen (Kündigungs)Schutz verleiht. Der EuGH hat sich mit dieser Grundsatzfrage in seiner Entscheidung allerdings nicht auseinandergesetzt. Es ist aber damit zu rechnen, dass das Bundesarbeitsgericht zeitnah ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH einleiten wird, um diese Frage abschließend zu klären (BAG, Beschluss vom 11. Mai 2023 – 6 AZR 157/22 (A)).

Rechtliche Einordnung und Ausblick

Mit der Entscheidung des EuGH steht fest, dass die Zuleitungspflicht keine Schutzvorschrift zugunsten der von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer darstellt, und die deutschen Arbeitsgerichte dürften zukünftig nicht mehr allein aufgrund eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG auf eine Unwirksamkeit der Kündigungen schließen. 

Ob andere der in §§ 17 ff. KSchG vorgesehenen Verfahrensvorschriften Individualrechtsschutz vermitteln und ein Verstoß gegen diese zu einer Unwirksamkeit der Kündigungen führt, bleibt aber auch nach der Entscheidung des EuGH ungeklärt. Es bleibt zu hoffen, dass auch diese Grundsatzfragen zeitnah dem EuGH vorgelegt werden. Aus Arbeitgebersicht wäre eine endgültige Abwendung von dem bisher postulierten Individualschutz wünschenswert. Die Massenentlassungsanzeige würde damit ihren bisherigen Schrecken verlieren.

Arbeitgebern ist daher bis auf Weiteres dringend anzuraten, sowohl das Konsultationsverfahren als auch die Massenentlassungsanzeige sorgfältig vorzubereiten, um nicht die Unwirksamkeit der Kündigungen zu riskieren.  

Teilen auf Facebook Teilen auf Twitter Teilen via E-Mail Teilen auf LinkedIn
Abonnieren und auf dem Laufenden bleiben
Erhalten Sie unsere neuesten Blogbeiträge per E-Mail.
Bleiben Sie in Kontakt
Minh Riemann

Über Minh Riemann

Alle Posts Vollständige Biographie

Verwandte Posts

  • Restrukturierung

Lockerungen bei der „Massenentlassungsanzeige“? – Warten auf den EuGH

Von Matthias Stelzer
  • Recht der Arbeitnehmervertretung
  • Restrukturierung
  • Unkategorisiert

Sozialplan: Höchstbetrags- und Klageverzichtsregelung

Von Dr. Markus Diepold
  • Restrukturierung
  • Transactional-related employment law
  • Transaktionsbezogenes Arbeitsrecht

Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem übergehenden Betriebsteil und Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben

Von Dr. Lukas Jäger

Über Dentons

In über 80 Ländern unterstützt Dentons Sie mit einer einzigartig globalen Aufstellung und lokal exzellenten Rechtsberatung bei allen Wachstumsbestrebungen, der Abwehr von Risiken, im operativen Geschäft und in sämtlichen Finanzierungsfragen. Dabei engagieren wir uns für Inklusion und Vielfalt, soziale Teilhabe und Nachhaltigkeit. Mit unserem polyzentrischen und zielorientierten Ansatz konzentrieren wir uns auf das, was für Sie am wichtigsten ist. www.dentons.com

Grow, Protect, Operate, Finance. Dentons, the law firm of the future is here. Copyright 2023 Dentons. Dentons is a global legal practice providing client services worldwide through its member firms and affiliates. Please see dentons.com for Legal notices.

Kategorien

  • Arbeitsrecht 4.0
  • Beschäftigtendatenschutz
  • HR-Compliance
  • Individualarbeitsrecht
  • Internationales Arbeitsrecht
  • Recht der Arbeitnehmervertretung
  • Restrukturierung
  • Tarifvertragsrecht
  • Transactional-related employment law
  • Transaktionsbezogenes Arbeitsrecht
  • Unkategorisiert
  • Vergütung (Compensation & Benefits)
Dentons logo in black and white

© 2025 Dentons

  • Impressum
  • Datenschutzerklärung
  • Nutzungsbedingungen
  • Verwendung von Cookies