Aus dem Amt ausgeschiedene Führungskräfte sind häufig auf Informationen bzw. Geschäftsunterlagen der Gesellschaft angewiesen, um sich gegen mögliche Regressansprüche zu verteidigen oder um ihrerseits Ansprüche gegen die Gesellschaft geltend zu machen. Damit einhergehend besteht auf Seiten der Manager oftmals das starke Bedürfnis, nach dem Ausscheiden Zugriff auf vertrauliche Geschäftsunterlagen zu nehmen. In der Praxis gestaltet sich der Zugriff auf relevante Informationen allerdings als problematisch, da eine Rechtspflicht besteht, bei Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses sämtliche vertraulichen Geschäftsunterlagen vollständig an die Gesellschaft zurückzugeben.
Es besteht ein erhebliches Spannungsfeld zwischen dem Informationsbedürfnis (ausgeschiedener) Manager und der Pflicht auf umfassende Herausgabe der Geschäftsunterlagen gegenüber der Gesellschaft. Dieses soll im Folgenden näher beleuchtet werden:
Beweisnot des Managers
Ausgeschiedene Vorstände, Geschäftsführer oder auch Führungskräfte in Arbeitnehmerstellung benötigen häufig noch nach ihrem Ausscheiden die in den Geschäftsunterlagen der Gesellschaft enthaltenen Informationen, um sich effektiv gegen Vorwürfe hinsichtlich pflichtwidrigen Fehlverhaltens verteidigen zu können oder um Forderungen – z. B. betreffend variable Vergütung – gegenüber der Gesellschaft (gerichtlich) geltend zu machen. Insbesondere Organmitglieder sehen sich im besonderen Maße Haftungsrisiken hinsichtlich der ihnen bei Ausführung ihres Amtes vorgeworfenen Pflichtverletzungen ausgesetzt, da im Rahmen der Organhaftung ein besonders strenger Haftungsmaßstab greift.
Herausgabepflicht bzgl. Geschäftsunterlagen
Diesem Informationsbedürfnis steht eine umfassende Pflicht auf Herausgabe der Geschäftsunterlagen gegenüber der Gesellschaft entsprechend den Regelungen zur Geschäftsbesorgung nach §§ 675, 666, 667 BGB gegenüber. Die Herausgabepflicht bezieht sich dabei auf sämtliche Unterlagen der Gesellschaft einschließlich Kopien. Auch selbst angefertigte Notizen, bei denen ein Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft besteht, sind von der Herausgabeverpflichtung erfasst. Nach wohl herrschender Meinung kann die beschriebene Herausgabepflicht hinsichtlich der Geschäftsunterlagen der Gesellschaft grundsätzlich auch dann nicht beschränkt werden, wenn die Führungskraft befürchtet, die Unterlagen für einen evtl. Haftungsprozess zu benötigen.
Mögliche Rechtsfolgen bei unzulässiger Aneignung von Geschäftsunterlagen
Sofern trotz der bestehenden Rückgabeverpflichtungen Geschäftsunterlagen zurückbehalten werden, stellt dies regelmäßig eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar und kann daher u. U. eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Hinzukommend sind mit dem Abzug von Geschäftsunterlagen regelmäßig auch Datenschutzverstöße verbunden, da in diesen Unterlagen häufig personenbezogene Daten i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern der Gesellschaft enthalten sind (z.B. bei Organigrammen, Kundenlisten oder E-Mail-Korrespondenzen).
Einsicht- und Auskunftsrechte des Managers
Um das aufgezeigte Ungleichgewicht zwischen Gesellschaft und Manager auszugleichen, billigen Rechtsprechung und Literatur dem Manger unter bestimmten Voraussetzungen ein Einsichts- und Auskunftsrecht gegenüber der Gesellschaft zu, damit dieser überhaupt in der Lage ist, sich gegen den Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens effektiv verteidigen zu können (Gebot der Waffengleichheit). Umfang und Grenzen des Einsichts- und Auskunftsrechts sind allerdings nicht eindeutig bestimmt, sondern finden ihre Grenzen nach Treu und Glauben. Die Gesellschaft braucht grundsätzlich nur diejenigen Unterlagen zugänglich machen, die zur Rechtsverteidigung der ausgeschiedenen Führungskraft notwendig sind. Welche Unterlagen das im konkreten Einzelfall sind, ist zwischen den Parteien in der Praxis häufig streitig.
Erhebliche Probleme bei der Rechtsdurchsetzung
Außerdem stößt auch die tatsächliche Durchsetzung der Einsicht- und Auskunftsrechte in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten.
Insbesondere verlangen die Gerichte das „Vorliegen eines schlüssigen und auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags“, um zu verhindern, dass der Antrag als Instrument der Ausforschung missbraucht wird. Für eine gerichtlich angeordnete Urkundenvorlage ist es daher notwendig, dass die Unterlagen sowie deren Inhalte konkret bezeichnet werden. Angesichts dieser hohen Anforderungen drängt sich die Frage auf, wie der Manager nach seinem Ausscheiden bestimmte Dokumente aus einer Fülle von Unterlagen konkret bezeichnen soll, obwohl ihm der Zugriff zu den Geschäftsunterlagen verwehrt ist?. Bezeichnet er daher bestimmte Unterlagen konkret oder fällt sein Vortrag zu detailliert aus, liegt der Verdacht nahe, dass er widerrechtlich Geschäftsdokumente abgezogen haben könnte.
Hinzukommend ist die tatsächliche gerichtliche Durchsetzbarkeit deutlich erschwert, weil die Einsicht in Geschäftsunterlagen – anders als etwa im angloamerikanischen Rechtsraum – nicht unmittelbar durch eine Herausgabe(wider)klage beansprucht werden kann. Das Einsichtsrecht kann vielmehr regelmäßig nur im Wege der prozessualen Vorlage nach §§ 421 ff. ZPO durchgesetzt werden, sodass der Manager in einem Prozess gegen die Gesellschaft lediglich beantragen kann, dass das Gericht der Gesellschaft die Vorlage der betreffenden Unterlagen aufgeben möge. Dieses Verfahren hat insbesondere den entscheidenden Nachteil, dass die Vorlage bestimmter Unterlagen nicht gegen den Willen der Gesellschaft erzwungen werden kann. So führt eine Verweigerung der Gesellschaft – trotz gerichtlicher Anordnung – „lediglich“ zu beweisrechtlichen Nachteilen für die Gesellschaft.
Auch keine Abhilfe durch den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch
Auch der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch gem. Art. 15 DSGVO stellt kein probates Mittel für Führungskräfte dar, an die für einen Prozess benötigten Informationen zu gelangen. Ungeachtet des Umstands, dass ein derartiges Auskunftsbegehren wohl richtigerweise als rechtsmissbräuchlich angesehen werden müsste, brächte der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch überdies auch mit Blick auf die vom BAG formulierten hohen Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrags im Ergebnis keine praktischen Vorteile.
Möglicher Lösungsansatz: Screenshots und Notizen
Grundsätzlich erscheint es möglich, dass der Manager Screenshots von bestimmten E-Mail-Korrespondenzen bzw. Dateinamen speichert bzw. kurze handschriftliche Notizen anfertigt, um eine spätere inhaltliche Zuordnung der benötigten Daten zu ermöglichen. Dadurch kann er sich in die Lage versetzen, im Rahmen der prozessualen Urkundenvorlage gem. § 421 ff. ZPO konkretisiert und hinreichend bestimmt die benötigten Unterlagen zu benennen. Der entscheidende Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass dabei keine (vollständigen) Geschäftsunterlagen abgezogen werden und die Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft daher weitgehend gewahrt bleiben. Ferner eröffnet sich für den Manager ein gewisser Argumentationsspielraum, dass das bloße Anfertigen von Screenshots keinen Verstoß gegen die umfassenden Herausgabepflichten darstellt. Letztlich bleibt allerdings ungewiss, ob ein Gericht diese Vorgehensweise akzeptieren oder doch einen Verstoß gegen die strengen Herausgabepflichten annehmen würde, sodass ein rechtliches Risiko daher nicht wirksam ausgeschlossen werden kann.
Vertragliche Lösung
Angesichts der vorab beschriebenen Probleme dürfte nach derzeitiger Rechtslage eine detaillierte vertragliche Regelung zwischen den Parteien erforderlich sein, um ein geordnetes Sicherungsverfahren bzgl. der relevanten Geschäftsunterlagen sicherzustellen. Hierbei ist ein starkes Augenmerk auf den wirksamen Schutz von Geschäftsgeheimnissen der Gesellschaft zu legen. Der Führungskraft ist insbesondere vertraglich ausdrücklich das Recht einzuräumen, einen „Index“ anzulegen, in dem alle relevanten Dokumente bzw. Geschäftsunterlagen während der Vertragslaufzeit namentlich aufgeführt sind. Dadurch kann sichergestellt werden, dass der Manager diese Unterlagen im Bedarfsfall konkret und dem Bestimmtheitsgebot entsprechend bezeichnen kann. Darüber hinaus erscheint es ggfs. auch als praxisgerecht, dem Manager vertraglich zu gestatten, während der Vertragslaufzeit eine Datensammlung sämtlicher relevanter Geschäftsunterlagen anzulegen, auf die er im Falle eines Rechtsstreits unter Aufsicht eines vorab bestimmten Dritten zuzugreifen darf.
Fazit
Um einen rechtssicheren und praxisgerechten Ausgleich der strukturellen „informationellen Benachteiligung“ des ausgeschiedenen Managers gegenüber der Gesellschaft zu schaffen, bleibt (derzeit) letztlich nur die Möglichkeit, dass sich die Parteien bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über ein geordnetes Sicherungsverfahren hinsichtlich der für einen möglichen Rechtsstreit relevanten Geschäftsunterlagen vertraglich verständigen. Es ist daher anzuraten, auf diesem Punkt schon bei den Vertragsverhandlungen ein besonderes Augenmerk zu richten.